Weiteres Urteil vom FG Münster zum Eigenheim
Ebenfalls am 28.09.2016 entschied das Finanzgericht Münster zu einem weiteren Befreiungstatbestand nach § 13 ErbStG. In der Entscheidung 3 K 3757/15 ging es nun um die Regelung in Abs. 1 Nr. 4b Satz 5. Nr. 4b ErbStG und betrifft den Fall, dass nicht die Kinder, sondern der Ehegatte das Familienheim von Todes wegen erwirbt und „unverzüglich zur Selbstnutzung zu eigenen Wohnzwecken bestimmt“. Satz 5 bestimmt, dass die Steuerbefreiung rückwirkend entfällt, wenn der Erwerber – ohne dass es hierfür einen zwingenden Grund gibt – das Familienheim „innerhalb von 10 Jahren nach dem Erwerb nicht mehr zu Wohnzwecken selbst nutzt“.
Im Streitfall hatte nun die Erwerberin innerhalb der 10-Jahres-Frist die Immobilie im Wege der Schenkung auf ihre Tochter übertragen, hatte sich jedoch den lebenslänglichen Nießbrauch an der Immobilie vorbehalten, aufgrund dessen sie diese weiterhin zu eigenen Wohnzwecken nutzte. Auf den ersten Blick überraschend, urteilte nun das Finanzgericht Münster, dass, trotz des grundsätzlich eindeutigen Wortlauts und der unstreitigen Weiternutzung des Familienheims durch die Erwerberin, allein die Aufgabe des Eigentums genüge, um den rückwirkenden Wegfall der Steuerbefreiung auszulösen:
„Dass die Klägerin den Grundbesitz aufgrund des vorbehaltenen Nießbrauch noch weiter zu eigenen Wohnzwecken nutzt, reicht für den Behalt der Steuerbefreiung nicht aus. Zwar streitet der Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 4b Satz 5 ErbStG für das Begehren der Klägerin. (…) Jedoch kann eine sachgerechte Auslegung und Anwendung der Vorschrift nach Auffassung des Senats nicht allein am Wortlaut der Vorschrift haftend erfolgen. (…) Bei der Gesetzesauslegung ist auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers abzustellen, so wie er sich aus dem Wortlaut der Bestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt. (…)
Nach Auffassung des Senats ergibt sich aus der Gesamtkonzeption der Vorschriften zur Steuerbefreiung des Familienheims beim Erwerb von Todes wegen durch den Ehegatten (Nr. 4b) oder durch die Kinder (Nr. 4c), dass die Steuerbefreiung die Nutzung zu eigenen Wohnzwecken aus der fortdauernden Rechtsposition als Eigentümer voraussetzt.
Nach S. 1 der jeweiligen Vorschrift ist der Eigentumserwerb bezüglich des Familienheims steuerfrei. Wird das Eigentum entweder aufgrund einer Verpflichtung durch den Erblasser (jeweiliger S. 2) oder zur Teilung des Nachlasses (jeweiliger S. 3) weiter übertragen, kommt die Steuerbefreiung nicht in Betracht. Diese Regelungen zeigen, dass die Steuerbefreiung mit der Eigentümerstellung verknüpft ist. Insbesondere umfasst gerade der Regelungsgehalt des jeweiligen S. 2 auch Fälle, in denen der Erwerber das Eigentum weitergeben muss, aber aufgrund einer Anordnung des Erblassers den Grundbesitz weiter zu eigenen Wohnzwecken – z.B. aufgrund eines Nießbrauchs oder eines Wohnrechts – nutzen darf. Der Senat kann keinen sachlichen Grund dafür erkennen, der es rechtfertigt, die Steuerbefreiung bei Übertragung des Eigentums am Familienwohnheim weiter zu belassen, nur weil die Übertragung freiwillig und nicht auf Veranlassung des Erblassers geschieht. § 13 Abs. 1 Nr. 4b S. 5 ErbStG stellt in diesem Zusammenhang nach Auffassung des Senats eine klarstellende Regelung für die Fälle dar, in denen zwar das Eigentum des Erwerbers bestehen bleibt, die Qualität des Familienheims jedoch aufgrund einer Nutzungsänderung verloren geht. Diese Auslegung deckt sich auch mit dem gesetzgeberischen Grundanliegen, mit den Steuerbefreiungsvorschriften neben dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums das Familiengebrauchsvermögen krisenfest zu erhalten; der Erwerber soll nicht gezwungen sein, seine Eigentümerposition aufzugeben, um die Erbschaftsteuer entrichten zu können (…). Letzteres lässt sich sinnvollerweise nur verwirklichen, wenn die Steuerbefreiung an die Eigentümerstellung und nicht lediglich an die Selbstnutzung zu Wohnzwecken geknüpft ist.
Der im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung, die Schädlichkeit der Eigentumsübertragung sei abhängig von der Person desjenigen zu beurteilen, auf den der Erwerber das Familienheim überträgt, folgt der Senat dabei nicht. Neben den bereits vom Hessischen Finanzgericht angeführten Erwägungen [Anmerkung: Der Sinn der Privilegierung, den Erwerber vor einer Veräußerung des Familienheims zur Begleichung der Erbschaftsteuer zu schützen, entfalle, wenn der Erwerber das Familienheim zwar weiter bewohne, das Eigentum jedoch auf einen Dritten übertrage] spricht gegen eine derartige Gesamtschau der Vorschriften in § 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG, dass durch das Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz immer ein konkreter Erwerb zwischen zwei beteiligten Personen – hier Erblasser und Erwerber aufgrund erbrechtlicher Vorschriften – besteuert wird. Eine Zusammenfassung einer "Übertragungskette" im Rahmen der Besteuerung dieses einzelnen Erwerbs würde der Gesetzessystematik widersprechen.“
Auch hier ließ das Finanzgericht die Revision zum Bundesfinanzhof zu. Das Verfahren ist dort zurzeit ebenfalls bei dem zweiten Senat unter dem Aktenzeichen II R 38/16 mit folgenden Fragen anhängig:
„Entfällt die Steuerbefreiung für ein Familienheim, wenn die Erbin dieses innerhalb von zehn Jahren unter Nießbrauchsvorbehalt auf ihre Tochter überträgt, aber weiterhin zu eigenen Wohnzwecken nutzt?
Ist die unentgeltliche Weitergabe an die Tochter unschädlich, weil diese ihrerseits begünstigt i. S. d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG hätte erwerben können (Übertragungskette)?“
Praxishinweis des Steueranwalts
Die Auslegung des Finanzgerichts ist in der Tat mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht in Einklang zu bringen. Im Steuerrecht -so auch bei der Erbschaftsteuer- ist indes von einer wirtschaftllichen Betrachtungsweise auszugehen. Dies ist daran zu erkennen, dass das Erbschaftsteuerrecht zugunsten der Steuerpflichtigen selbst zivilrechtlich unwirksame Verfügungen, soweit sie durchgeführt werden, anders als im Erbrecht als wirksam betrachtet. Denkbar ist, dass der BFH die Auffassung des FG Münster teilen wird. Durch eine solche Konstruktion könnte der Erwerber von begünstigtem Vermögen Veräußerungen unter Nießbrauchsvorbehalt erreichen, dass er liquide Mittel erhält, die der Erbschaftsteuer entzogen werden. Gleichwohl ist in betroffenen Fällen der geänderte Erbschaftsteuerbescheid offen zu halten.